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News Ein bisschen agil — (wie) geht das? Hybride Zusammenarbeitsformen im Stadtwerk

02. Oktober 2019 Dr. Heike Hahn
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Viele Stadtwerke wollen agiler werden. Warum eigentlich? – „Weil es jetzt alle machen“ ist sicher kein adäquates Motiv. Vielmehr gibt es dafür gute Gründe.

Und auch Möglichkeiten, zunächst in wenigen Unternehmensteilen eher hierarchische Vorgehensweisen um agile Elemente zu erweitern. Da ist es auch erlaubt, existierende Rahmenwerke wie Scrum so auszugestalten, dass sie für die eigene Aufgabenstellung passend sind.

Erschienen in: e|m|w (Energie.Markt.Wettbewerb) Ausgabe 5/2019 (www.emw-online.de) 

Gleich zu Beginn lässt sich eine wesentliche Frage stellen: „Warum ist „Agilität“ erstrebenswert?“ Im Grunde lässt sich die Antwort auf zwei Punkte reduzieren: Die Anforderungen, die sich aus Entwicklungen im Umfeld ergeben, erfordern anpassungsfähige Organisationsmodelle und schnelle Reaktionszeiten. Außerdem erwarten immer mehr Mitarbeitende flache Hierarchien sowie mehr Flexibilität und Eigenverantwortung bei der Gestaltung ihrer Arbeitsabläufe (siehe Abb. 1). Die Lösung für diese beiden Anforderungen versprechen agile Methoden, die Prozesse nicht an starren Hierarchien, sondern flexibel an den Erfordernissen des Projektes ausrichten.

Anforderungen des Marktes
Stadtwerke sind mit Blick auf die Erfordernisse der Energiewende und als Reaktion auf den Mengen- und Margenrückgang im Geschäft mit Strom und Gas gefordert, sich ganzheitlicher aufzustellen und ihr Angebot regelmäßig auch um kerngeschäftsfremde Leistungen zu erweitern. Eine Konsequenz ist, dass sie bei einer solchen Entwicklung mit branchenfremden Anbietern konkurrieren, und daher in der Lage sein müssen, in Bezug auf Schnelligkeit und Leistungsfähigkeit mitzuhalten. Stadtwerke mit Breitbandangeboten sind zum Beispiel schon heute gefordert, Anbietern wie der Deutschen Telekom, Vodafone/ Unity Media, die immer wieder Aktionsangebote platzieren, Preisanpassungsprozesse entgegenzusetzen, die sich eben nicht wie im Strom- und Gasbereich über Monate hinziehen. Dabei werden sich perspektivisch Bündelangebote etablieren, was den Komplexitätsgrad noch deutlich erhöht. Auch die Verfügbarkeit neuer Technologien führt zu kürzer werdenden Innovations- und Produktlebenszyklen, z. B. rund um Photovoltaik und Speicherlösungen. Die Geschäftsmodelle werden digitaler – und die Kunden sind es aus anderen Branchen längst gewohnt, schnell Produkte, Informationen, Feedbacks etc. zu erhalten.

Anforderungen der Mitarbeitenden
Auch für Stadtwerke wird es immer schwieriger, ihren Personalbedarf adäquat zu decken. Bei neuen Mitarbeitenden – nicht selten aus den Generationen Y oder Z, die dringend benötigtes Know-how rund um Digitalisierung, Data Analytics, Customer Experience etc. mitbringen – ist der Wunsch nach freier Entfaltung und eigenständiger Umsetzung stark ausgeprägt. Von ihren Arbeitgebern erwarten sie, nicht bevormundet oder eingeschränkt zu werden. Damit unterscheiden sich ihre Vorstellungen davon, wie sie Aufgaben befriedigend lösen, von denen vieler Kolleginnen und Kollegen, die das eben „immer schon“ in klaren Hierarchiegefügen machen.

Abbildung1: Erfordernisse von Markt und Mitarbeiten machen Agilität erstrebenswert

Was zeichnet agile Unternehmen aus?
Agilität zeichnet Unternehmen aus, deren Leitgedanke auf Flexibilität, Anpassung und Selbstorganisation beruht. Sie sind damit in der Lage, sich auf die Anforderungen des Umfelds einzustellen, um die durch die Stakeholder gewünschten und das Team reflektierten Ergebnisse im Sinne von Zielen bzw. einer Vision auch unter veränderten Rahmenbedingungen hervorzubringen.

 Als Rahmenwerk für agiles Arbeiten dient immer mehr Unternehmen „Scrum“, ein Ansatz, der darauf beruht, ein Projekt eben nicht von Beginn an strikt durchzuplanen und sofort vollumfängliche Anforderungsprofile zu formulieren, sondern Schritt für Schritt in „Sprints“ durchzuführen. Gleichwohl muss mindestens eine „Produktvision“ existieren (für Aufgabenstellungen, bei denen diese noch fehlt, bietet sich als agiler Rahmen z.B. eher „Design Thinking“ an). Diese kurzen Produktentwicklungszyklen und Iterationen bei Scrum sorgen für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess. So erfolgt nach jedem Sprint im „Review“ eine Begutachtung der Teilergebnisse durch die Stakeholder mit der Möglichkeit, sich (wieder) stärker am Kundenbedarf zu orientieren. Die „Retrospektive“ fokussiert auf interne Belange des Zusammenarbeitens, um als Team daraus für die nächste Runde zu lernen. Wesentlich für agiles Zusammenarbeiten ist, dass die Verantwortung für das Ergebnis vom Management hin zu den Mitarbeitenden verlagert wird. Das Team selbst räumt Hindernisse aus und verteilt Aufgaben sinnvoll untereinander – orientiert am zur Verfügung stehenden zeitlichen und finanziellen Rahmen. Durch das abteilungsübergreifend zusammengesetzte und frei von Hierarchien arbeitende Umsetzungsteam, die effiziente Meetingstruktur und die direkte Einbindung von Entscheidern und Kunden sind kurze Entscheidungswege möglich. Selbstverständlich sind auch bei Scrum Fortschrittsmessungen vorgesehen.

Primär- und Sekundärorganisation in Form von Scrum Teams (Beispiel)

Herausforderungen im Stadtwerk
Ein Stadtwerk ist typischerweise eher traditionellen und hierarchischen Strukturen verhaftet. In diesen fällt es Vorgesetzten häufig schwer, Verantwortung abzugeben und ihre Teams „einfach mal machen zu lassen“. Hinzu kommt, dass Vorgesetzte mitunter sehr kleinteilige Vorgaben machen, „wie“ ein Ziel zu erreichen ist, anstatt sich auf das „was erreicht werden soll“ zu beschränken. Viele von ihnen kontrollieren zudem regelmäßig den Fortschritt und verändern auch mal die Zielvorgaben mitten im Prozess, wobei sie erwarten, dass diese Anpassungen mehr oder weniger unhinterfragt umgesetzt werden („Command and Control“). Damit verweigern sie ihren Mitarbeitenden nicht nur die Möglichkeit eines „Empowerment“, also die Chance, ihre Interessen aus der eigenen Kompetenz heraus, selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten, sondern übersehen zudem, dass sie sich durch die Verlagerung der Kompetenzen selbst mehr Freiraum etwa für strategische oder Führungsaufgaben – zukünftig verstanden im Sinne von befähigen, ermutigen und steuern – verschaffen können. Häufig ist zudem zu beobachten, dass Führungskräfte an Meetings teilnehmen oder in E‑Mail-Verteilern sind, auch wenn man sie gar keinen Beitrag leisten können.

(Wie) können hybride Ansätze funktionieren?
Viele Stadtwerke haben erkannt, dass Veränderungen in Bezug auf die interne Zusammenarbeit mit Blick auf Markt und Mitarbeitende sinnvoll sein können oder sogar notwendig sind. Die Einführung agiler Zusammenarbeitsformen in einem Stadtwerk bedingt allerdings streng genommen eine umfassende Re-Organisation und die Auflösung von Hierarchien – auch im Top Management. Dazu ist – nachvollziehbarerweise – nicht jede Unternehmensführung „von jetzt auf gleich“ bereit. Setzt man „Agilität“ allerdings ergänzend zu klassischen Strukturen quasi als Sekundärorganisation ein und hält sich nicht sklavisch an die strikten Vorgaben von zum Beispiel Scrum als agilem Rahmenwerk, kann daraus ein hybrider Ansatz entstehen, der individuell auf die Belange eines Stadtwerks zugeschnitten ist. Einzelne Abteilungen können mit zunächst ausgewählten Aufgaben als „Keimzellen“ und „Piloten“ fungieren, von denen aus agile Arbeitsweisen unter Integration anderer Organisationseinheiten ins gesamte Unternehmen diffundieren.

Die disziplinarische Führung erfolgt dann weiterhin über die jeweiligen Vorgesetzten, die fachliche wird hingegen auf die „Product Owner“ übertragen. Damit ist die Organisation sowohl stellen- als auch rollenzentriert. Rolle und Aufgabe werden allerdings höher gewichtet als die organisatorische Aufhängung. Der Product Owner erhält vom Vorgesetzten Ziele und Anforderungen eines Vorhabens und vertritt ihn und ggf. weitere Stakeholder mit diesem Wissen vor dem Umsetzungsteam. Er formuliert daraus eine Vision, die Aussagen zu Zielgruppe, Bedürfnissen, USP, Wirtschaftlichkeit und Herausforderungen etc. enthält. Er ist verantwortlich für den Erfolg des Vorhabens – was ihm (und nur ihm) die Befugnis zur Entscheidung über das „Product Backlog“ gibt, in dem die Anforderungen, die notwendig sind, um die Vision umzusetzen, gelistet und priorisiert sind. Er ist aber nicht alleine berechtigt zu verfügen, „wie“ diese umgesetzt werden. Dies entscheidet das gesamte Umsetzungsteam, das der Product Owner so zusammenstellt, dass es alle Fähigkeiten abdeckt, die notwendig sind, um die jeweils gewünschte Funktionalität zur Umsetzung der Vision bereitzustellen. Er selbst nimmt an allen Meetings des Umsetzungsteams teil und kann – muss aber nicht – Mitglied desselben sein. Das ist insbesondere dann vorteilhaft, wenn er gleichzeitig Product Owner verschiedener Teams und damit für mehrere Produkte verantwortlich ist.

Hieraus ergibt sich eine wesentliche Herausforderung: Wie kann sichergestellt werden, dass solche, meist abteilungsübergreifende Teams die Freiheit haben, selbstorganisiert und nur dem Product Owner verpflichtet an der Aufgabe zu arbeiten? Denkbar ist die Einführung eines – in Scrum nicht vorgesehenen – „Agile Boards“, dass sich z. B. zusammensetzt aus den Leitern verschiedener Bereiche eines Stadtwerks. In dieser Runde wird besprochen, wie die auf Bereichsziele runtergebrochenen unternehmensweiten Ziele umgesetzt werden (Abb. 2). Ein Beispiel: Durch „Vertrieb/Produktmanagement“ soll ein Produktbündel bestehend aus verfügbarem Strom- und Breitbandprodukt eingeführt werden. Diese Tatsache wird im Agile Board mit Blick auf Ziele und grundsätzlichen Ressourceneinsatz committet und ein Produktmanager zum Product Owner bestimmt. Sein Ziel könnte lauten:

Bringe innerhalb von vier Monaten ein Produktbündel aus Strom und Breitband auf den Markt, mit dem wir Privatkunden binden, ihren Wert erhöhen sowie neue Kunden hinzugewinnen und denen wir perspektivisch noch weitere Leistungen anbieten können.“

Der Product Owner bleibt bei der Ausformulierung der Vision im engen Austausch mit dem Auftraggeber (z. B. dem Bereichsleiter Vertrieb), evtl. sogar mit dem gesamten Agile Board sowie den Kunden, die ebenfalls als Stakeholder fungieren können. Alles weitere wird dem Product Owner und dem Umsetzungsteam überlassen. Das Team selbst schätzt Arbeitsaufwände ab und wählt darauf basierend eigene Aufgaben aus dem Product Backlog für den nächsten Sprint aus. Erst in den Reviews geben Stakeholder – und alle Teammitglieder – Feedback zum jeweiligen Teilergebnis. Allerdings ist es dem Product Owner überlassen, dieses Feedback ins Product Backlog aufzunehmen oder nicht. Dies wird er voraussichtlich machen, wenn er es als werterhöhend für das zu erwartende (Teil-)Ergebnis ansieht, für welches er ja verantwortlich ist.

Mit Einführung einer agilen Sekundärorganisation kann es hilfreich sein, einen „Agile Coach“ – auch von extern – einzubeziehen. Dieser kann den einzelnen Product Ownern und Umsetzungsteams z. B. als „Scrum Master“ zur Seite stehen, aber auch das Management im Umgang mit dem Thema begleiten. Der Scrum Master sorgt für die Einhaltung des Prozesses und unterstützt das Team bei der Beseitigung von Hindernissen.

Darüber hinaus lohnt es sich, auch außerhalb der agil arbeitenden Organisation bestehende Meeting- und Dokumentationsstrukturen zu überdenken. Insbesondere die Scrum-Ereignisse „Sprint Planning“, „Daily Scrum“ und die schon erwähnten Reviews und Retrospektiven können – zusammen mit der Nutzung eines „Scrum Boards“ – Vorbild für die effizientere und transparentere Gestaltung sämtlicher Berichtsstrukturen im ganzen Haus sein.

Fazit
Durch die Addition einer agilen Sekundärorganisation werden sicherlich nicht alle Herausforderungen, vor denen ein Stadtwerk mit Blick auf Flexibilität, Anpassung und Selbstorganisation steht, automatisch gelöst. Vorgesetzte Stakeholder, die heute ihre Zielvorgaben stetig ändern, können das spätestens in den Reviews auch weiterhin tun. Mitarbeitende, die bisher nicht eigenständig arbeiten können oder wollen, werden sich auch in einem agilen Rahmen damit schwertun. Voraussetzung für ein Gelingen ist in erster Linie der Wille aller Beteiligten, sich auf eine solche Form der Zusammenarbeit einzulassen. Ein gradliniger Scrum Master, dem es gelingt, auch Vorgesetzte zur Einhaltung ihrer neuen Rolle zu bewegen, hilft dabei. Zudem ist Kreativität hilfreich, wenn es Fragestellungen zu lösen gilt, die sich in einer hierarchischen Zusammenarbeitsform bisher nicht gestellt haben. Die „Reinform“ von Scrum kann hier Anregung geben, auch wenn sie dann in abgewandelter Form genutzt wird. Mit Blick auf die Gründe, die zur Etablierung einer agilen Sekundärorganisation geführt haben, wird es wohl kaum Alternativen geben, als sicherlich aufkommende Herausforderungen zu lösen – dann gerne auch durch die Teams selbst.